Makel im Ausweis

Mich erreicht eine Whatsapp der afghanischen Mutter zweier Mädchen, die seit einem Jahr bei mir wohnen: „Liebe Judith, Du hast gesagt, Du kannst reden, um die rote Linie von meinem Ausweis zu entfernen, weil mein Dublin vorbei ist“. Ich fühle Ärger und Unsicherheit in mir hochsteigen. Habe ich das wirklich so gesagt? Ich hoffe nicht, denke ich, denn das kann ich leider nicht.

Zahra* lebt in Wandlitz mit einer „Duldung“.

Das heißt für sie, in ständiger Angst zu sein, doch nicht im sicheren Wandlitz bleiben zu können. Keine Wohnung, keine Arbeit, keine Integration. Alle drei Monate muss sie zur Ausländerbehörde, um ihre Abschiebung aussetzen zu lassen und in der Hoffnung auf ein Recht zu bleiben. Heute ist Freitag vor dem nächsten Termin zur Verlängerung des Ausweises von Zahra am kommenden Dienstag. Der Termin findet für alle Asylsuchenden immer dienstags statt. Genau zu diesem Termin haben sich Flüchtlinge bei der Ausländerbehörde einzufinden, anzustellen, abzuwarten. Manchmal ist die Frist noch kürzer, manche müssen alle 14 Tage vorstellig werden. Wer verspätet oder nicht erscheint, hat mit Strafen wie Fristverkürzungen oder Geldkürzungen zu rechnen. Viele haben Angst zu kommen.

 

Zahra und ihre Töchter habe ich im Oktober das erste Mal zur Behörde begleitet, Begleitpersonen wurden dann aber aufgrund von Corona nicht zugelassen. Wir mussten mit zwei kleinen Mädchen in der Schlange im kalten Treppenhaus warten. Nachdem Zahra vorgelassen wurde, kam sie schnell wieder raus, irgendetwas fehlte. Was, das hatte sie aufgrund der sprachlichen Barriere nicht verstanden. Nachdem ich mich durch die Tür gedrängelt und nachgefragt hatte, war klar, es fehlen noch Passbilder für die Kinder. Wofür ist mir immer noch unklar, die Kinder haben keinen eigenen Pass. Wir haben Fotos anfertigen lassen und uns erneut angestellt. Nach Ausstellung des Ausweises mit einer Duldung für zunächst 3 Monate stellte der Bearbeiter zum nächsten Termin im Januar eine Duldung für 6 Monate in Aussicht. Diese erhielt Zahra bis heute nicht.

 

Zahra ist traurig und verunsichert, dass es in ihrem Ausweis nur „Duldung“ heißt. Zahra und ihre Töchter sind auf ihrer Flucht zunächst in der Slowakei als asylsuchend registriert worden, bevor sie Deutschland erreichten.

Dublin II Abkommen

Nach dem sog. Dublin II Abkommen hätten die deutschen Behörden sie in die Slowakei zurückgeschickt, in ein Gefängnis als Unterkunft. So verbrachten sie die sechsmonatige Dublin II – Frist, in der eine Abschiebung in den EU-Staat der Erstregistrierung jederzeit möglich ist, hier im Kirchenasyl. Im Oktober letzten Jahres wurde durch die deutsche Ausländerbehörde der Vermerk „Zur Abschiebung vorgesehen“ mit einer dicken roten Linie durchgestrichen, das Asylverfahren wurde in Deutschland aufgenommen. Das offizielle Dokument für das Recht auf den Verbleib in Deutschland bleibt seitdem vorübergehend, ist kein Pass, bietet keinen Aufenthaltstitel. „Aussetzung der Abschiebung (Duldung)“ ist das Dokument nun überschrieben. Eine Duldung dient ausschließlich dazu, dem Ausländer zu bescheinigen, dass er ausländerbehördlich registriert ist und von einer Durchsetzung der bestehenden Ausreisepflicht für den genannten Zeitraum abgesehen wird. Duldung heißt nicht willkommen oder Bleiberecht. Duldung gibt keine Sicherheit oder Perspektive. Duldung ermöglicht keine Integration, keinen Sprachkurs, keine Arbeit, kein Hartz IV, der Geldanspruch beim Grundsicherungsamt liegt noch unter dem Hartz IV – Satz. Für afghanische Flüchtlinge sind seit März zumindest Integrationskurse möglich, finden aber aufgrund der Corona-Pandemie praktisch nicht statt. Die rote Linie ist ein dicker roter Makel im Ausweis, der mit einem grundsätzlichen Erwerbsverbot versehen ist und den Aufenthalt auf den Landkreis begrenzt.

 

Was kann ich für Zahra tun?

Ich nehme mir vor, die Behörde nochmals anzuschreiben. Als ich nun eine E-Mail an den Sachbearbeiter zu verfassen beginne, reichte mir das plötzlich nicht. Auch ich will verstehen. Ich möchte fragen: Warum? Ich möchte fürsprechen, erklären, dass es mit einer 3-monatigen Frist bereits einmal zur Absage bei einer Wohnungssuche kam und Arbeitssuche praktisch unmöglich ist. Ich telefoniere mit dem Sachbearbeiter. „Immer noch keine Akte da, wird angefordert“, vielleicht wisse er bis Dienstag mehr, er sei angehalten, trotz höherem Ermessensspielraum nur 3 Monate zu verlängern, eine Arbeitserlaubnis sei vielleicht möglich, müssten wir beantragen, wenn wir einen Arbeitgeber gefunden hätten.

 

Am kommenden Dienstag machte sich Zahra, gleich nachdem sie die ältere Tochter zur Schule und die jüngere in die Kita gebracht hatte, auf den Weg nach Eberswalde. Als sie um ca. 11 Uhr ihren Ausweis abgegeben hatte, bekam sie einen Termin, diesen um 15 Uhr wieder abzuholen. Zurück erhielt sie diesen erneut mit einer 3-monatigen Verlängerung. Keine Veränderung für ihre Situation hier, obgleich die kritische Lage in Afghanistan ein Bleiberecht rechtfertigen sollte. Aber das wurde noch nicht behördlich bescheinigt. Zahra kam um 17:30 Uhr müde und enttäuscht zurück. Gut, dass eine Freundin einspringen und die Tochter abholen konnte, wir haben zusammen auf Zahra gewartet. Wir konnten nichts sagen. Sprachlos und hilflos gegenüber dem Vorgang, dem Umgang mit einer Mutter von zwei zu betreuenden Kindern!

Wenn Sie aktiv werden wollen: Mitarbeit oder Spenden sind herzlich willkommen. Infos https://www.b-asyl-barnim.de/

*Name geändert

Unsichtbar – vom fremd sein und fremd bleiben im Barnim

Ein Podcast (41 Minuten) von Lukas, Carah, Sofie, Cora, Johanna, Jule: Weißt du was genau Duldung bedeutet? Nein? – kein Wunder, Menschen in Duldung haben kaum eine Plattform und ihre Perspektiven werden selten gehört. Wir haben uns als Ziel gesetzt mit diesem Podcast, den wir im Rahmen eines Moduls der HNE Eberswalde erarbeitet haben, genau das zu ändern. Dieser Podcast gibt einen Überblick, was Duldung ist, was es für betroffene Menschen bedeutet und was wir machen können, um Solidarität zu zeigen. Ein Gespräch mit zwei Frauen, die im Duldungsstatus leben, sowie mit zwei Asylberater:innen.  https://anchor.fm/lcscjj32

Quelle: https://anchor.fm/lcscjj32



Verfasser:in:
Judith Dubiel

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