Andreas, geboren 1962, DDR.

Makariv

März 2021

 

Andreas fand es so schön mukkelig in den Siebzigern. Drei Programme krisseliges Schwarzweißfernsehen, überall wurde geraucht. Der Vater soff sich, heimlich auf die Regierung schimpfend, mit Weinbrand aus großen Schwenkern ins Koma und Mutti konnte schon am Samstagvormittag am Sonntagsbraten schrauben. Fahrradhelme brauchten nur die Friedensfahrer im Fernsehen und 18 Uhr kam Fußball und da hatte auch Andreas die Klappe zu halten.

Die Jugend war allgemein bescheuert, hing langhaarig und in merkwürdiger Kostümierung im Park rum, mit klobigen Brüllschränken, aus denen Lärm quoll. Dazu zuckten die jungen Menschen wie bei starken Schmerzen und hatten unter Anderem vielleicht deshalb mit ehrlicher Arbeit nicht viel am Hut.
Die alten Männer auf dem Weg zur Kneipe nuschelten halblaut, was der Führer mit diesen Gammlern seinerzeit gemacht hätte, um dann am Stammtisch bei Kutte an der Ecke so richtig abzuledern.

Und Andreas fand‘s halt geil, leicht schmuddelig und gerne angetrunken als Bürgerschreck. Was tut man nicht alles für gut gemachte Abgrenzung. Dann in den Achtzigern wurde die allgemeine, von der Mode diktierte Maskerade kurz noch einmal richtig beknackt, bevor auch der Andy in der letzten Dekade des Millenniums, wenn auch widerwillig, irgendwie dann doch das wurde, was die alten Männer einer ganzen Generation abgesprochen hatten, nämlich erwachsen. Folgend nahm das Leben seinen Lauf. Arbeit, neues Auto, Hausbau, Kinder, D-Mark, Urlaub auf Malle und immer wird Bayern München Meister.

Zwischendurch wurden erst die Kinder kompliziert, dann der Opa, und von Andreas weitgehend unbemerkt fing dann auch noch die Welt an zu globalisieren. Im Internet konnte man nun vom Sofa und nur mit Schlüppa an prima einkaufen und auf diesem fähßbuck auch ohne Stammtisch seinen ganzen Unverstand und sublimierten Hass einfach rausrotzen. Das war preiswert und bequem und keiner widersprach.

Heute ist Andreas ein in die Jahre gekommenes ostdeutsches Mannsbild mit SUV, Pool und Bierspoiler. Politiker sind alle doof und korrupt und die Jugend, guck sie dir doch an, zu nichts zu gebrauchen. Alle sprechen englisch, schwul sein ist modern und heißt jetzt LGBTQ oder so ähnlich. Horden von dunklen Menschen wollen plötzlich alle bei uns wohnen. Irgendwelche linksgrün versifften Hippies haben das Klima erfunden und ich soll jetzt Fahrrad
fahren.

Corona Covid 4711, Vakzine, Inzidenz und R-Wert, was soll der ganze Mist? An jedes zweite Wort hängen die jetzt so ein *innen ran und zergendern die deutsche Sprache! Es gibt 17 verschiedene Geschlechter und wenn’s richtig schlimm kommt, ne grüne Kanzlerin.

Auch wenn Andreas natürlich keine Angst hat, es macht ihm schon Sorgen. Wieso sind die Leute heute so bekloppt? Kann nicht einer mal da wieder Ordnung schaffen? Wieso bin ich jetzt schuld am Klima? Kann es nicht wenigstens ein bisschen so wie früher sein, mukkelig halt? Und weil Andreas natürlich nie ratlos ist, ist er halt wütend. So ungefähr entstand der alte weiße Mann.

P.S. Der Autor entschuldigt sich bei allen netten Andreasen, die nicht gemeint sind.




Verfasser:in:
Otto

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