Das Richtige populär machen

Am Abend des 03. Oktobers 2022 sitze ich auf dem Sofa und schaue, was mir meine Timeline bei Twitter so anbietet. Es ist der Abend des Tags der Deutschen Einheit und viele Tweets beschäftigen sich mit dem Verhältnis von Ost- und Westdeutschland.

Ein Commander Keen, immerhin fast 8.000 Follower, offensichtlich aus Brandenburg, eröffnet einen längeren Tweet mit den Worten: „Ich bin Ostdeutscher, lebe hier und zum Tag der Deutschen Einheit fällt mir nur ein, dass die Mehrheit der Ostdeutschen einfach mal die Fresse halten sollte. Diese Minderwertigkeitskomplexe, der Hass auf den Staat und dieser Egoismus widern mich an.“

Abgesehen von dem emotionalen Sprachstil legt der Commander Keen den Finger in die Wunde und stellt im weiteren Verlauf die richtigen Fragen:

Warum verfallen gerade die unter 40-Jährigen in Selbstmitleid ob der schlimmen Nachwendezeit und versteifen sich zu weiten Teilen zu der Ansicht, es sei alles viel schlimmer als in der DDR?

Warum schaut man nur auf sich, sieht sich selbst zurückgesetzt und ist daher in einem Besitzstandsdenken verhaftet, das zum Ausblenden jeder notwendigen Anpassung an die Realität (Corona, Klima, struktureller Wandel, Zuwanderung) führt und verlangt dafür auch noch Respekt?

Warum dient ostdeutsche Identität oft nur noch als Ausrede, um den Staat infrage zu stellen. Einen Staat, den sich die große Mehrheit hier vor 35 Jahren so sehnlich gewünscht hat?

Natürlich sind die ökonomischen Chancen für viele hier schlecht. Aber das sind sie in Bremen oder im Ruhrpott auch. Warum aber gefallen sich die Leute da nicht permanent in dieser Opferrolle, die als Rechtfertigung für die Wahl von Faschisten gilt. Auch wenn ich jetzt schon seit über 20 Jahren im Osten lebe, habe ich keine Antworten auf diese Fragen. Aber als politisch denkender Mensch wünsche ich mir von den demokratischen Parteien, dass sie diese Gefühlswelt nicht auch noch bedienen, sondern Wege aufzeigen, wie man zuversichtlich in die Zukunft schauen kann.

Ein Zitat unseres ehemaligen Bundespräsidenten Walter Scheel bringt es auf den Punkt: „Es kann nicht die Aufgabe eines Politikers sein, die öffentliche Meinung abzuklopfen und dann das Populäre zu tun. Aufgabe des Politikers ist es, das Richtige zu tun und es populär zu machen.“




Verfasser:in:
Klaus Siebertz

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