Das Talent entwickelt sich aus der Freude – ein Leben auf dem Fahrrad

Im Gespräch mit WPunkt berichten Vera und Jürgen Geschke: Der Sprint-Weltmeister und mehrfacher Olympia-Medaillen-Gewinner spricht über seinen Werdegang, seine Leidenschaft für das Radrennen und voller Stolz und Freude über die Erfolge des Sohnes Simon Geschke bei der Tour de France.

Als ich in meiner WhatsApp-Gruppe nach Ihrer Telefonnummer fragte, kam die Nummer prompt unter dem Namen: Tutti Geschke. Was hat es mit diesem Spitznamen auf sich?

Tutti, tutti, alles, alles! Als Anfeuerungsruf hat sich das aufgrund meiner italienischen Wurzeln schnell eingebürgert. Schon damals in meiner Volleyballgruppe und durch die aktuellen Schlagzeilen über Simons Etappenerfolg bei der Tour de France sind viele alte Erinnerungen und Kontakte aufgelebt.

 

Ihre Laufbahn begann ja als Boxer, wie kamen Sie dann zum Radsport und letztendlich auch von Berlin nach Wandlitz?

Ja, Sport war für mich immer wichtig auch durch die Friedensfahrt. Im Nachkriegs-Berlin war ja nicht viel möglich, man musste damals nehmen was ging und Boxen konnte man im Hinterhof in einer Werkshalle. Das Resultat aus den Sichtungen durch die älteren Berufsradfahrer war dann der Sprint und später das Tandemfahren. Man hat mich dann in die Richtung entwickelt, z.B. wurde auch meine zierliche, kleine Tochter damals schon für den Wurfsport ausgewählt, das haben die schon früh erkannt ohne die heutigen Methoden der Vermessung.

 

Unsere Trainingsstrecke war von Berlin über Bernau und Wandlitz zurück, die Ausdauerfahrer sind sogar bis Groß Schönebeck und Gollin gefahren. Ich war da schon auf den Sprint abonniert, kurze Distanzen von 200 bis 1000 Meter, je nach Muskelfähigkeit wird man trainiert. Auf dem Tandem sitzen dann zwei Sprinter, die Tandem-Olympiasieger von 1936 wurden unsere Trainer und 1972 haben wir Olympia-Silber gewonnen. Wegen des speziellen und teuren Materialaufwandes wurde Tandem 1973 als olympische Disziplin abgeschafft. Ich konzentrierte mich auf den Sprint und gewann 1976 die Bronze-Medaille, 1977 den Weltmeistertitel und etliche weitere Meistertitel im Sprint.

 

Wie ging es dann mit Ihrer Karriere weiter?

Mit 34 Jahren beendete ich meine aktive Zeit und wurde für rund 10 Jahre Trainer, man musste alle Stufen durchlaufen vom Kinder- und Jugendtraining bis zum Training der Leistungsträger. Vor der Wende bezogen wir unser Häuschen in Wandlitz, die Wendezeit war dann schwierig, ich musste mich umorientieren, war arbeitslos, meine Frau zuhause mit den beiden kleinen Kindern. Die Existenzgrundlage über den Sport bzw. als Trainer zu sichern, war im West-System anders als zu DDR-Zeiten nicht mehr gegeben. Mit leichtem Widerwillen eröffnete ich dann den Fahrradladen „Mit Rad und Tat vom Weltmeister“ in dem ehemaligen Gemüseladen an der heutigen L100.

 

Für Erfolg an der Spitze muss man nicht nur die physiologischen Fähigkeiten haben, sondern Ehrgeiz und Leistungswillen mitbringen. Die Eltern spielen natürlich eine große Rolle, können motivieren, sollten aber bei allem gutgemeintem Fördern nicht überfordern und den Spaß am Sport nicht vernachlässigen, der Motivation und Freude bringt. Man muss auch einen 5.Platz noch als Sieg anerkennen, man muss immer weiterkämpfen.

„Mit Rad und Tat vom Weltmeister“, Fahrradladen mit wechselvoller Geschichte: vormals Drogerie, Gemüseladen, Elektrobedarf und Bekleidung. Vor einigen Jahren abgerissen für „Zum Glück“, Bildnachweis: Geschke

Das Radfahren haben Sie Ihrem Sohn Simon wohl in die Wiege gelegt?

Ich habe ja in Wandlitz eine Jugendgruppe für das Mountainbike aufgebaut, auch Artikel fürs Amtsblatt geschrieben, um etwas mehr Schwung in das Sportangebot für Kinder in Wandlitz zu bringen. Die Grundlagen konnte ich durch meine Kenntnisse aus dem Trainerstudium an der DHfK in Leipzig für alle legen. Motivation und Spaß am Radsport habe ich versucht in unserem Mountainbike-Club umzusetzen, wir sind jeden Sonntag zum Training in den Wald aufgebrochen, habe die Räder gebaut und repariert. Der Fahrradladen war sehr hilfreich, um günstiger an Material und Teile heran zu kommen und die Reparaturen selbst durchführen zu können.

 

Die Zeit reichte aber nicht aus, um auch aus allen Profis zu machen, das ist mir dann nur mit Simon gelungen und das Ergebnis sind ja seine Erfolge als Rennradprofi seit Anfang 2000, ein Höhepunkt seiner aktiven Karriere war der Etappensieg auf der 17. Etappe der Tour de France 2015.

 

Ich habe zwar mehr Titel gewonnen als unser Sohn Simon, aber ich bin voller Bewunderung für seine Leistung als Profiradsportler insgesamt 16 Jahre lang, allein 12-mal auf der Tour de France, mit so vielen mehr als hundertachtzig starken Konkurrenten ist das eine sehr große Leistung. So viel Leistung und auch Quälerei als Helfer für den Erfolg des Kapitäns zu sorgen, da ist der Etappensieg von 2015 und die Tour de France zum Abschluss ein toller Erfolg für ihn!

Sie haben ja die Räder selber zusammengebaut, leben für das Radfahren, hat man da auch noch Lust im Alltag per Rad einzukaufen?

Die Räder sind ja sehr teuer, wir haben die Ersatzteile eingekauft und um Kosten zu sparen, selbst repariert und zusammengebaut, sonst wären wir nicht so weit gekommen. Man muss ja zu seinem Rad auch so eine persönliche Beziehung haben, wie der Reiter zu seinem Pferd. Außerdem muss ja auch alles sicher sein! Ich zeige Ihnen mal das Mountainbike designed by Jürgen Geschke.

 

Klar fahre ich immer noch mit dem Rad zum Einkaufen, nur den Großeinkauf zu meinem 80sten Geburtstag habe ich mit dem Auto gemacht. Auf den Straßen ist es allerdings zunehmend gefährlich rücksichtslos. Ich bin heil froh, dass ich mit meiner Mountainbike-Gruppe nur auf Waldwegen oder auf den Rennstrecken im Kohletagebau Senftenberg trainieren konnte und im Berliner Grunewald.

Das Montainbike designed by Jürgen Geschke, Bildnachweis: Punkt

Neben der Technik spielt heute die Ernährung eine sehr große Rolle und wie sieht es mit Doping aus?

Ja, unser Simon ernährt sich vegan. Früher wusste man viel zu wenig was man für die verschieden Sportarten braucht und die Proteinzufuhr wurde über Fleisch geregelt, was heute durch Soja und Hülsenfrüchte ersetzt wird. Das Talent entwickelt sich aus der Freude und bestimmt dann das Leben von der Ernährung bis zum Trainingsplan. Man entwickelt Charakterstärke und lernt unglaublich viel dazu, bereist die Welt von Südamerika bis Japan, lernt die Sprache für das Team in dem man fährt. Aber die Pyramide zu erklimmen ist so hart, es sind so viele Champions unterwegs.

 

Das Doping hat sich ja aus der Nazizeit entwickelt, aus der sogenannten Fliegerschokolade, die Pervitin-, Koffein- oder Methamphetamin-haltig war. Sie wurde geschluckt, um lange wach und leistungsstark zu bleiben. Anfangs waren Anabolika gar nicht auf der Dopingliste und als junger Mensch denkt man noch nicht an die Folgen. Dann nahmen die Antidopingkommissionen ihre Arbeit auf.

 

Heute, nach den ganzen Skandalen, ist das Doping so gut wie undenkbar. Wir haben das selber erlebt, am ersten Weihnachtsfeiertag klingelt es morgens um sieben Uhr für eine Dopingkontrolle. Man muss jederzeit seinen Aufenthaltsort angeben, sonst zählt das bereits als Dopingvergehen, auch im Höhentrainingslager in Italien kommen die Kontrolleure unangemeldet vorbei.

Wie sieht es mit Verletzungen aus und was kommt nach der aktiven Zeit?

Ich bin schon mehrmals gestürzt, hatte Hautabschürfungen und Gehirnerschütterung, aber Simon hat sich schon mehrfach etwas gebrochen. Beim Straßenrennen ist die Verletzungsgefahr anders gelagert als auf der Radrennbahn. Unsere Räder hatten keine Bremsen oder Gangschaltung, nur durch unsere Steuerkünste mussten wir das regeln. Die Straßenrennräder sind dagegen voll ausgerüstet mit Bremsen und Schaltung, für die Steigungen und die sehr hohen Geschwindigkeiten von 100 kmh bei der Abfahrt braucht man das natürlich.

 

Meine aktive Zeit war mit 34 Jahren zu Ende und mit Schließung des Ladens habe ich auch das Training für die Mountainbike-Gruppe in Wandlitz auslaufen lassen und meine Reparaturhilfen im Asylbewerberheim habe ich mit der Übergabe der restlichen Materialien für Räder aufgegeben.

 

Simon beendet nun mit 38 Jahren seine aktive Laufbahn, wird erst einmal für die Familie da sein und dann überlegen, wie es weitergehen soll, das kann man nicht schon während der Wettkämpfe vorbereiten. Er will im Sportsektor verbleiben, da gibt es zum Beispiel neuere Entwicklungen aus dem Höhentraining, die man auch im Flachland anwenden kann.

Der kleine Simon Geschke schon auf Fahrt und erste Erfolge bei Radrennen, Bildnachweis: Geschke
Rennstrecke im ehemaligen Kohletagebaugebiet Senftenberger Mühle, Bildnachweis: Geschke
Profiradsportler seit 16 Jahren, Bildnachweis: Geschke

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