Migration im Barnim
Der Landkreis Barnim war und ist Anlaufstelle, neue Heimat oder Zwischenstation für Geflüchtete. Niedergelassen haben sich französische Hugenotten, Schweizer und jüdische Familien; nach dem 2. Weltkrieg kamen russische Soldaten, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter aus verschiedenen Ländern. Später kamen Vertragsarbeiter aus Ungarn, Algerien, Kuba, Vietnam, Angola und Mosambik, schließlich Spätaussiedler:innen aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Zurzeit kommen Geflüchtete aus der ganzen Welt und vermehrt aus der Ukraine. Willkommensinitiativen, Kirchengemeinden, das Integrationsnetzwerk Barnim bieten Unterstützung an, es wurden zudem Beratungsstellen in Ämtern, Gemeinden und weiteren Institutionen geschaffen. W-Punkt stellt hier das Projekt Migration im Barnim vor.
Migrationimbarnim.de: Eine Online-Ausstellung – von Dr. Sylvia Setzkorn
Der Wunsch, eine Ausstellung über Migration im Barnim zu zeigen, bestand schon geraume Zeit, als im Jahr 2020 in Schorfheide, im Ortsteil Lichterfelde die Ausstellung mit dem Titel „Flucht, Vertreibung, Migration & Integration“ gezeigt wurde. Daraus sollte eine erweiterte Ausstellung über Menschen aus dem Barnim entstehen, die Integration, Kunst und Kultur verbindet. Zusammen mit den jeweiligen Ansprechpartner:innen aus dem Integrationsnetzwerk Barnim, der Städte Bernau bei Berlin und Eberswalde sowie der Gemeinde Wandlitz entwickelte die Integrationsbeauftragte des Landkreises Barnim Idee und Konzept für eine Fotoausstellung, die Menschen mit Migrationserfahrung und ihre Geschichten präsentiert. Sie sollte online sein, damit sie leicht zugänglich ist und dauerhaft bleibt.
Die Integrationsmanager:innen in den Städten Eberswalde, Bernau und in der Gemeinde Wandlitz haben Menschen mit Migrationserfahrung in ihrem jeweiligen Umfeld vor Ort angesprochen und haben tatkräftig mitgewirkt: bei der Suche nach interessierten Teilnehmer:innen, bei den Interviews, bei der Textredaktion. Für die Fotoportraits konnte der Fotograf Frank Günther aus Wandlitz gewonnen werden, der das Projekt mit Begeisterung künstlerisch umgesetzt hat.
Zurzeit leben Menschen aus über 130 Ländern im Landkreis Barnim. Die Online-Ausstellung zeigt, dass auch im Barnim großartige Menschen mit Migrationserfahrung leben, die mit ihrer Arbeit, ihrem Wissen, ihrer Kultur unser Leben im Barnim bereichern.
Die Ausstellung kann mit ihren Fotos und den persönlichen Erzählungen helfen, die Menschen, die in den Barnim gekommen sind und nun im Barnim leben, besser zu verstehen. Und sie macht denen Mut, die als Migrant:innen neu in den Barnim kommen.
Das Ergebnis kann sich jeder anschauen: Unter www.migrationimbarnim.de erzählen Menschen aus aller Welt, die in unserer Region leben, von ihren Erfahrungen der Flucht, vom Ankommen im neuen Umfeld und von ihren Wünschen.
Dr. Sylvia Setzkorn, Beauftragte für Gleichstellung, Migration und Integration, Kontakt: integrationsbeauftragte@kvbarnim.de, www.barnim.de
Frank Günther: Erfahrungen als Fotograf im Projekt Migration im Barnim
Die Initiatoren bzw. Verantwortlichen für das Projekt „Lebenswege im Wandel“ waren Sara Eichhorst, Elisa Karberg, Sergey Moiseenko aus Bernau sowie Frau Dr. Setzkorn und Nina Stobbe für den Landkreis Barnim und ich habe die Fotos gemacht. Geplant war neben der Gestaltung der Website auch eine Wanderausstellung, die bis heute allerdings nicht zustande kam. Die sehr emotionale Feier, quasi zur Eröffnung, fand im Paul-Wunderlich-Haus mit den Geflüchteten statt, man war sich nun ja nähergekommen und das war schon sehr bewegend. Dort lernte ich dann auch einen weiteren Mitveranstalter kennen, den Sozialkoordinator Sven Lutherdt aus Wandlitz.
Die Interviews mit den Geflüchteten wurden in den unterschiedlichen Unterbringungen durch dortige Mitarbeitende geführt. Für meine Fotos brauche ich auch immer Kenntnis über die Personen und Einblicke in ihr Leben, sodass ich teils bei den Interviews dabei war, meistens habe ich aber separate Gespräche geführt und dabei Portraitaufnahmen, Detailaufnahmen und auch Aufnahmen von den Einrichtungen gemacht.
Die Person in ihrem Umfeld abzubilden ist mir dabei besonders wichtig. Was ist für diesen Menschen wichtig – seine Religion, das Orgelspiel, die Tätigkeit im Gartenbau, Fußball oder Wohnumfeld, wie sind die neuen Bedingungen, der Freiraum im Barnim? Sehr interessant war für mich, dass die Menschen aus vielen verschiedenen Ländern kamen, aus Schlesien und Ostpreußen, aus Ungarn bis hin zu Geflüchteten aus Mozambique und Syrien.
Beeindruckende Lebenswege
Beeindruckend fand ich den Lebensweg des Fußballers, der in Deutschland geboren, mit seinem Vater in den Libanon zurückkehrte, dort im Bürgerkrieg aufwuchs, bis er 2018 wieder nach Deutschland flüchtete. Durch seinen ungeklärten Status fühlt er sich nirgends zuhause, er darf hier nicht arbeiten und will am liebsten wieder zurück, ist aber mit seinen 4 Kindern noch immer hier. Er ist im Fußballverein FSV Bernau aktiv und hat auch die Jugendlichen im Wohnheim trainiert.
https://www.migrationimbarnim.de/atieh-mhawech-deutschland-und-libanon/
Auch sehr beeindruckt hat mich die Geschichte der jungen Afghanin, die ihre große Familie zurückgelassen hat, nachdem die Bedrohung durch die Taliban immer stärker wurde. Nun hat sie ein neues, selbstbestimmtes Leben mit ihren Kindern hier begonnen. Sie will Erzieherin werden, ist mutig und trägt kein Kopftuch. In einem Detailfoto habe ich ihre Hände fotografiert, lackierte Fingernägel waren in Afghanistan verboten.
https://www.migrationimbarnim.de/fariwar-afghanistan/
Nicht gerade gemütlich
In den Wohnheimen ist es keineswegs immer gemütlich, so zum Beispiel in Wandlitz, meine Fotos zeigen trostlose Ansichten von Badezimmer, Außenbereich mit einer Miniaturrutsche für die vielen Kinder oder kahle Kontaktbereiche. Es ist sicher schwer, sich hier zurechtzufinden, sich heimisch zu fühlen und solch eine unpersönliche Umgebung sauber zu halten.
Ganz anders sieht es in einer Wohnung aus. So lebt die 4-köpfige Familie aus Afghanistan in Bernau, hat einen kleinen Garten dabei, inzwischen auch ein Auto, die Töchter sind gute Schülerinnen, die Nachbarn sehr nett. Es ist extrem sauber und ordentlich in der Wohnung, auch die ordnungsgemäße Mülltrennung sitzt.
https://www.migrationimbarnim.de/tayeba-badry-afghanistan/
Frank Günther, Fotograf, Kontakt: mail@frank-guenther-fotografie.de www.frank-guenther-fotografie.de/
Weitere Lebensgeschichten und Lebenswege unter: „Migration im Barnim“, „Migration in Wandlitz“ „Makel im Ausweis“ oder „Gast für zwei Wochen, „Turbointegration“
Verfasser:in:
Dr. Sylvia Setzkorn, Frank Günther